Steinbildhauerin Melanie Sterba: «Ich möchte etwas für die Ewigkeit schaffen»
In der kalten Morgenluft von Bassersdorf raucht der Motor aus einem silbernen, alten Land Rover. Drinnen sitzt Melanie Sterba, lässig, mit der Zigarette im Mundwinkel und schraubt am Armaturenbrett herum. Ein Abenteuer auf vier Rädern – nur ohne Dach. In ihrer massgeschneiderten Arbeitskleidung, die ausschliesslich aus braunem, mittlerweile schon etwas abgenutztem Leder besteht, scheint sie in ihre Tätigkeit versunken zu sein. Ihr Wiedererkennungswert ist nicht nur ihrem Outfit zu verdanken, sondern auch ihrer Persönlichkeit. Nur kurz sind wir uns bereits begegnet, doch der erste Eindruck der Steinbildhauerin ist geblieben: Aufmerksam, furchtlos und facettenreich.
Selbstbewusst und Selbstständig
«Ich weiss, was ich will», sagt Sterba zu mir im Gespräch. Sie hat sich ihr Selbstbewusstsein hart erarbeitet. In einem männerdominierten Beruf und als Selbstständige kann sie es sich nicht leisten, schüchtern oder bescheiden zu sein.
Dazu gibt es auch keinen Grund: Ihr Werk und ihr Ausnahmetalent in ihrem Berufsfeld wurden bereits mehrfach national und international ausgezeichnet. Bereits als Kind wusste die Bassersdorferin, dass sie mit Steinen arbeiten möchte: «Ich habe schon als ganz Klein Steine ‘geschnitzt’, geschliffen und sie in eine Form gebracht. Damals wusste ich natürlich nicht, dass man das auch beruflich machen kann.» In der alten Schmitte aus dem Jahr 1840 in Oberwil bei Zürich, in der Sterba noch heute ihr Atelier hat, machte die Steinhauerin bereits ihre Ausbildung. Obwohl ihr ehemaliger Lehrmeister keine Lernenden ausbilden wollte, hat sie ihren Willen durchgesetzt. Sterba hat so lange nicht nachgelassen, bis er schliesslich eingewilligte, sie auszubilden. Dieser starke Wille ist ein bezeichnender Charakterzug der Künstlerin. Er zieht sich durch ihr Leben wie ein roter Faden. Das widerspiegelt sich in ihrer Kunst, aber auch in ihrem Vorgehen, wie sie ihre extravaganten Ideen an den Käufer bringt.
«The Victory of Human Will»
Beispielhaft dafür ist ihr letztes grosses Werk: Es misst sieben Meter und wiegt 40 Tonnen. Dafür musste eine Felswand im Steinbruch gesprengt werden, klärt mich die Künstlerin auf. Es trägt den Namen «The Victory of Human Will», auf Deutsch klinge der Name aber besser: «Es ist der Sieg des menschlichen Willens über die Materie. Es steht sinnbildlich für den menschlichen Willen über alles.» Diese «Milestones», wie die Künstlerin die Serie der verformten Steine nennt, sind ihr Vermächtnis. Sie hängen weich in ihren Gestellen und erinnern an Wackelpudding. Eindrücklich, wenn man bedenkt, dass Granit zu den härtesten Gesteinen gehört.
«Ich möchte etwas für die Ewigkeit schaffen. Es soll zeitlos sein», führte sie weiter aus, als sie mir stolz die anderen Kunstwerke zeigte. «Und weisst du, wenn in tausend Jahren oder vielleicht sogar Millionen von Jahren, irgendjemand oder irgendetwas diese Steine findet, werden sie sich denken: Was ist nur mit diesen Steinen passiert?». Dabei lächelte sie spitzbübisch. Diesen Gedanken scheint sie zu amüsieren, so als würde sie der Zukunft mit ihrer Kunst einen Streich spielen.
«Wenn ich die Skulpturen bearbeite, dann werde ich eins mit dem Marmor.»
Die Sonne scheint in das verstaubte Atelier und Sterba beginnt Holz in den kleinen Kachelofen zu legen. Der Geruch von Lagerfeuer macht sich im Raum breit. Kaffee gibt es aus der Kanne, erhitzt auf einem kleinen Gaskocher. Als sie mir die braune Flüssigkeit einschenkt, berichtet sie mir von ihrem Handwerk, ihrer Kunst. «Wenn ich die Skulpturen bearbeite, dann werde ich eins mit dem Marmor. Ich verschmelze mit meiner Arbeit.» Nebst der Bearbeitung von grossen Steinen, fertigt sie filigrane Skulpturen aus Marmor an. «Mir gefällt das Grobe, doch ich brauche genauso die Arbeit im Kleinen, im Detail», offenbarte sie mir. In ihrer ersten Ausstellung am 18. November 2022 in Zürich, werden diese Marmor-Skulpturen im Zentrum stehen. Daher auch der Name der Ausstellung: «Marbled Facts». Zu sehen sind in den Kunstwerken lediglich Ausschnitte eines Szenarios, hervorkommend aus schwarz beschichtetem Marmor. «Den Rest überlasse ich der Fantasie des Betrachters», erläutert sie. Es sind die grossen Themen, die Sterba in ihrer Kunst darstellt: Der Tod, die Liebe und der Kampf des Kleinen gegen das Grosse – David gegen Goliath. Nur ein Kunstwerk darf ich noch nicht begutachten. Es werde erst enthüllt an der Vernissage, so Sterba.
Amors Pfeil und die zwei Herzen
Bei Betrachtung der Skulpturen, fällt es mir schwer zu glauben, dass diese durch menschliche Hände geschaffen wurden. Die Liebe, dargestellt durch einen nachdenklichen Amor, berührt kaum sichtbar die Spitze seines Pfeiles. Millimeterarbeit. Die Künstlerin sagte dazu: «Die Skulptur fängt den Moment vor dem Verliebtsein ein. Bevor Amor seinen Bogen spannt, um ein Herz zu treffen – oder bestenfalls zwei. Zur Liebe gehört sicherlich immer ein Herz, doch es ist pures Glück, wenn noch ein Zweites dazukommt.»
Auf die Frage, ob es bei ihr auch ein zweites Herz gibt, lacht sie und antwortet mir: «Ja. Meine Arbeit und Charles.» Wobei anzumerken ist, dass mit Charles hier nicht ein junger Mann gemeint ist, sondern ihr geliebter Land Rover, getauft auf den Namen «Charles». Allein fühle sie sich aber nicht. «Ich will es genau so. Für ein normales, bürgerliches Leben bin ich nicht geschaffen.» Ungebunden, unabhängig und frei möchte sie sein. Das sei nicht kompatibel mit einer Familie.
Kunst über die Grenzen hinaus
Die talentierte Steinbildhauerin hat nämlich noch Grosses vor: «Ich würde gerne den amerikanischen und asiatischen Kunstmarkt erreichen.» Dort, nehme sie an, gäbe es genug verrückte Leute, die ihre Projekte unterstützen würden und auch könnten.
Das wird Sterba für ihr nächstes Projekt auch brauchen. Geplant sei ein vier Meter hoher «Meilenstein», der wie die anderen Steine auf einem Konstrukt stehen soll. Insgesamt wäre das Kunstwerk dann sieben Meter hoch und 40 Tonnen schwer. Projekt «Luca», das für «Last universal common ancestor» stehe, womit wieder auf den Willen des Menschen angespielt werde, suche sie noch einen Abnehmer und Unterstützer.
«Das Unmögliche möglich machen – nur mit meinem Willen»
Melanie Sterba
Sterba machte mir deutlich, dass es in ihrem künstlerischen Traum vor allem um grösser, schwerer und «unmöglicher» gehe. «Das Unmögliche möglich machen – nur mit meinem Willen.» Das sei ihr Ziel – auch in Zukunft. Die Künstlerin steht erst am Anfang ihrer Karriere und hat bereits mehr erreicht, als sich viele aus ihrer Branche nur zu träumen wagen. Ihre Beharrlichkeit und Entschlusskraft findet Einzug in ihre Arbeit, doch auch in ihr Leben. Ihre Kunst ist eine Ansage an all jene, die zweifeln. Ob an sich selbst oder an der Welt. Ihr Schaffen ist eine Hommage an den menschlichen Willen und ein Appell, der besagt, dass wenn wir nur wollen – auch können.